Sturmflut forderte 315 Menschenleben

In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 wurde Hamburg von einer der schwersten Sturmflutkatastrophen überrascht.

An 60 Stellen waren in Folge des Hochwassers die Deiche auf hamburgischem Staatsgebiet gebrochen, außerdem waren an 45 Stellen die Deiche so schwer beschädigt, dass bei anhaltendem Hochwasser weitere Deichbrüche drohten.

Angesichts der Schwere der Katastrophe stellte man bereits nach wenigen Stunden fest, dass Hilfe von außerhalb dringend erforderlich war.

So kam es, dass am Samstagmittag gegen 12.00 Uhr das THW in Lippstadt in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzt wurde. Bis zum späten Abend hielten sich dreieinhalb Gruppen im THW Heim in der Burgstraße auf. Zwischendurch
 wurden einige von ihnen zu einem Einsatz gerufen, um einen Baum zu fällen, der vom Sturm umzustürzen drohte.

Gegen 21.00 Uhr wurde der Alarm vom Innenministerium in Düsseldorf zurückgenommen.

Da ergriff der Ortsbeauftragte Ing. Schmidt die Initiative und setzte sich sofort mit der Bezirksregierung in Arnsberg und mit dem Landesbeauftragten in Düsseldorf in Verbindung. Die Lippstädter Helfer wussten, dass in Hamburg dringend Hilfe erforderlich war, und da sie über ein großes Schlauchboot sowie andere Bergungsgeräte verfügten, auch in der Lage waren dort zu helfen.

Am Sonntagmorgen gegen 3.00 Uhr löste das Landesministerium des Innern erneut Alarm für die Lippstädter Helfer aus. Wenige Minuten nach dem Alarmeingang startete in Dortmund ein Spezialgerätewagen, der noch in der selben Nacht die Männer mit ihren Geräten und ihrem Schlauchboot aufnahm. Wilfried Grohs, einer der 12 THW Helfer, die am Einsatz beteiligt waren, erinnert sich: „Es war mitten in der Nacht, ich hatte mich gerade erst hingelegt, da klingelte es bei uns an der Tür Sturm". Draußen stand Wilhelm Pesenacker und rief: "Sofort Fertigmachen, wir haben Alarm, ihr müsst sofort nach Hamburg zum Einsatz.“ Am THW Heim in der Burgstraße waren inzwischen folgende Helfer eingetroffen:

Heinz Schmidt, Willi Sigge, Georg Dargel, Claus Bollwahn, Benno Ludwig, Karl Josef Middeldorf, Rüdiger Wienecke, Gerhard Lohmeier, Josef Schumacher. 

Mit dem Einsatzwagen aus Dortmund stießen der Kraftfahrer Eggert und sein Beifahrer Schneider, beide aus Hamm zu der Gruppe. Sofort wurde das 12 m lange und für den Seewassereinsatz geeignete Schlauchboot verladen. Trotz zahlreicher Aufrufe im Radio, den Hilfskräften , die aus allen Teilen der Bundesrepublik nach Hamburg eilten, den Weg frei zu machen,  trotz Einsatz von Blaulicht und Martinshorn war es problematisch nach Hamburg zu gelangen. In Hamburg selbst herrschte ein riesiges Verkehrschaos, so dass die Gruppe sich auf Grund zahlreicher Umleitungen und Straßensperren,  erst um  14.00 Uhr beim Polizeieinsatzstab am Karl- Muck Platz melden konnte. Es dauerte etwa noch 1,5 Stunden, bevor die THW Männer den Einsatzraum Wilhelmsburg zugewiesen bekamen.

Hier starben die meisten Menschen

Kaum ein Name war in den letzten Tagen so oft gefallen wie "Wilhelmsburg".

Hier in diesem Stadtteil voller Laubenkolonien hatte der Tod besonders hart zugeschlagen. Hier starben die meisten Menschen den Tod des Ertrinkens oder sie erfroren ohne, dass ein anderes Lebewesen sie hörte. Dort haben die Männer des THW nach einem ersten am Sonntagnachmittag misslungenen Einsatz - die von ihnen zu rettenden Menschen waren schon längst befreit - am Montagmorgen mit dem Schlauchboot Tote geborgen.

Ertrunkene mit Schlauchboot geborgen

Es war ein Bild des Grauens und der Trostlosigkeit, das sich hier den Männern bot.

Teilweise schauten nur die Dächer der Lauben aus den schmutzigen und mit Hausgerät und toten Tieren übersäten Fluten heraus. Es war ein grauer Tag, nasskalt und unfreundlich, als die Männer mit ihrem Schlauchboot in den Wassern, die immer noch 1,5 m hoch die Straßen und Häuser von Wilhelmsburg überschwemmten, nach Toten suchten. Systematisch wurde Haus für Haus, bzw. Laube für Laube erstiegen und gründlich nach den Bewohnern abgesucht. Stunde für Stunde, Kilometer für Kilometer, bis zur völligen Erschöpfung, paddelten die Männer durch die Straßen, da das Boot nicht mit Motoren ausgestattet war. Alles Leben war hier verstorben, zum großen Teil waren es alte Leute, die hier ertrunken vorgefunden wurden, aber auch junge Leute, zum Teil Kinder. 

4-5 m hoch hatte das Wasser in diesem Stadtteil gestanden. An diesem Morgen gelang es den Lippstädtern mehrere Tote zu bergen und zu einer Sammelstelle zu bringen.

Josef Schumacher berichtete weiter, dass die Ratten ein ebenso großes Problem wie das Wasser darstellten. Jeder der Helfer wusste, dass durch einen Rattenbiss eine lebensgefährliche Krankheit hervorgerufen werden konnte. Bevor also irgendetwas geborgen werden konnte, musste alles mit einem Stock oder Paddel umgedreht werden, damit man den Bissen der Ratten entgehen konnte. Am Nachmittag des gleichen Tages erhielten die Helfer einen neuen Auftrag.

Sie sollten Verpflegung in die Gegend hinter den Bahnhof von Wilhelmsburg bringen. Dort harrten die vom Wasser eingeschlossenen Bewohner in ihren Häusern aus. Aus Angst vor Plünderungen und Diebstählen hatten sie sich geweigert ihre Häuser zu verlassen. Überall, wo das Schlauchboot auftauchte, öffneten sich die Fenster der oberen Etagen, in die sich die Hausbewohner geflüchtet hatten.

Wilfried Grohs erinnert sich: '' Da lief nichts mehr, Telefon, Strom und Gas waren abgeschaltet, die Leute haben gefroren und hatten nichts zu Essen. Mit einer solchen Katastrophe hatte wohl keiner gerechnet, daher hatten die Leute auch kaum Lebensmittel in ihren Vorratsräumen. Jetzt kamen wir, und haben die Menschen im Auftrag der Bezirksverwaltung mit Propan, Heizgeräten und Gaskochern versorgt. Mit uns sind Boote der Bundeswehr und anderen Organisationen auf den Straßen unterwegs um die Menschen zu versorgen. Den ganzen Tag über sind wir mit unserem Schlauchboot, vollbeladen mit Lebensmitteln aller Art durch die überfluteten Straßen gepaddelt und haben die Menschen versorgt."    Spät nachmittags spüren Fernsehreporter die Helfer aus Lippstadt auf und bringen abends in der Sendung "Hier und Heute" das Gespräch mit den THW Kräften. Einige Stunden lang unterstützten sie die Kameraden der Bundeswehr beim Beladen der Hubschrauber. Auch sie waren in diesen Tagen überfordert. Die Hubschrauber stiegen auf und warfen notwendige Dinge über dem Katastrophengebiet ab, landeten, wurden neu beladen - pausenlos und unentwegt. Eine hervorragende Leistung der Piloten und der 135 im Einsatz befindlichen Hubschrauber, die ihre Flüge bei Wind und Sturm fortsetzten, um Menschen zu retten und Eingeschlossene zu versorgen. Einsätze, die aufgrund der Wetterverhältnisse die meiste Zeit unter lebensgefährlichen Verhältnissen durchgeführt wurden. Eine stramme Leistung aber auch für hunderte von Soldaten, freiwilligen Helfern, die sofort nach der Landung die Hubschrauber mit Treibstoff versorgten, überprüften und sofort wieder mit Lebensmitteln beluden. Und dies ständig und unentwegt.

Als am Dienstag das Wasser weiter gesunken war, ordnete der Hamburger Senat für alle auswärtigen Helfer das Ende des Einsatzes an.

 

Dank der Stadt Lippstadt

Bürgermeister Koenen und Stadtdirektor Herhaus haben an die Ortsgruppe des Technischen Hilfswerkes für ihren vorbildlichen Einsatz im norddeutschen Überschwemmungsgebiet die besondere Anerkennung ausgesprochen.

Das an den THW - Ortsbeauftragten, Herrn Ing. Schmidt gerichtete Schreiben hat folgenden Wortlaut:

 

 

 Sehr geehrter Herr Schmidt
 

Für Ihren vorbildlichen Einsatz bei der Hochwasserkatastrophe in Hamburg sprechen wir Ihnen und Ihren Kameraden namens des Rates und der Verwaltung der Stadt Lippstadt Dank und Anerkennung aus.

Sie alle haben durch Ihre tatkräftige Hilfe in dem schwer betroffenen Stadtteil Wilhelmsburg bewiesen, daß Sie im Ernstfall Ihren Mann zu stehen vermögen, halfen Sie doch in der Stunde der großen Not der Stadt Hamburg, Menschen zu bergen und ferner bei der Überbringung von Lebensmitteln an noch Eingeschlossene und der Bundeswehr beim beladen von Hubschraubern. 

Die gesamte Bürgerschaft Lippstadt ist stolz auf Sie und die mutigen Taten ihrer Kameraden.

Mit herzlichen Grüßen sind wir
  
Ihr


gez. Koenen Bürgermeister

gez. Herhaus Stadtdirektor

entnommen aus der Tageszeitung " Der Patriot " vom
26 Febr. 1962

Dankmedaillen für THW Einsatzgruppe

Am ersten Jahrestag der schweren Sturmflut von Hamburg wurden im Rathaus zu Lippstadt die Dankmedaillen der Stadt Hamburg an die Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerkes überreicht. Es war dies der äußere Dank für den opferbereiten Einsatz der Männer bei der Flutkatastrophe. 

Bürgermeister Koenen sagte in seiner Laudatio:

"Die Flutkatastrophe in Hamburg war die furchtbarste Katastrophe, die die Bundesrepublik Deutschland in Friedenszeiten je heimgesucht hat.

315 Menschen verloren in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 ihr Leben. Über 20.000 Menschen mussten in kürzester Zeit aus dem Katastrophengebiet evakuiert werden. Der Innensenator Helmut Schmidt habe mir zu verstehen gegeben, das die Helfer aus Lippstadt in Hamburg besonders durch ihre Einsatzfreude aufgefallen seien. Als Bürgermeister der Stadt Lippstadt habe ich mich über diese Äußerung von Helmut Schmidt sehr gefreut, es ist mir deshalb eine besondere Ehre, die von der Hansestadt Hamburg an die Lippstädter THW Helfer verliehenen Dankmedaillen zu überreichen."

Außer den Medaillen überreichte er die dazu gehörige Urkunde und ein Buch mit dem Titel

 

"DAS DANKBARE HAMBURG SEINEN
FREUNDEN IN DER NOT
XVII FEBRUAR 1962"

 

Vom Regierungspräsidenten in Arnsberg er hielten die Helfer zwei neue Schlauchboote als Ersatz für das beim Einsatz in Hamburg beschädigte OV eigene Boot. Ein Boot soll auf Vorschlag von Bürgermeister Koenen den Namen "Hamburg" erhalten.